13. April 2016
Werkstatt Basel: An den Bilateralen Verträgen festhalten
Seit der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative ist das Verhältnis der Schweiz zur EU angespannt. In nächster Zeit muss entschieden werden, wie die Partnerschaft mit unseren Nachbarn in Zukunft aussehen soll. Herausforderungen der Schweizer Europapolitik wurden anlässlich der «Werkstatt Basel» am 12. April 2016 mit hochkarätigen Vertreterinnen und Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft diskutiert.
In der neusten Ausgabe der Werkstatt Basel drehten sich die Fragen rund ums Verhältnis zwischen der Schweiz und der Europäischen Union:
-
Wie gestaltet sich das zukünftige Verhältnis Schweiz - EU?
-
Mit welchen Auswirkungen muss insbesondere die Region Basel rechnen?
-
Welche Risiken oder Chancen haben wir ohne die Bilateralen?
Hochkarätige Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft diskutierten vor und mit rund 300 Gästen im Saal:
Einführung
Dr. Thomas Staehelin, Präsident Handelskammer beider Basel
Referat
Botschafter Dominique Paravicini, stv. Direktor Direktion für europäische Angelegenheiten, EDA
Panel
Thomas Aeschi, Nationalrat
Prof. Dr. Reiner Eichenberger, Dekan der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät Universität Fribourg
Christoph Mäder, Head Legal & Taxes, Mitglied der Konzernleitung Syngenta International AG
Monika Rühl, Direktorin economiesuisse
Backing
Beat Baumann, Chefökonom Unia
Botschafter Dominique Paravicini, stv. Direktor Direktion für europäische Angelegenheiten, EDA
Dr. Franz A. Saladin, Direktor Handelskammer beider Basel
Die Europa-Debatte wird sehr emotional geführt. Fakt ist: Wir alle profitieren von der engen Vernetzung mit unseren Nachbarn in der EU. Populistische Schlagworte und gezielt geschürte Ängste verbauen die Sicht auf das Wesentliche, denn die Partnerschaft der Schweiz mit Europa ist eine Erfolgsgeschichte. Ohne die Vernetzung mit unseren Nachbarn wäre unser Land nicht so stark, erfolgreich, wohlhabend und innovativ geworden, wie es heute ist. Für die Wirtschaft ist dabei der möglichst ungehinderte Zugang zum europäischen Binnenmarkt zentral. Die Wirtschaftsregion Basel ist mit international vernetzten Unternehmen, hohen Exporten, dem Bedarf an Fachkräften und zahlreichen Grenzgängern speziell davon betroffen. Deshalb setzt sich die Handelskammer beider Basel gemeinsam mit economiesuisse für den Erhalt und die Weiterentwicklung der Bilateralen Verträge ein. Dazu wurde die Kampagne «stark+vernetzt» lanciert. «Stark+vernetzt» steht für eine weltoffene, moderne Schweiz und für eine konstruktive Europapolitik.
Die Präsentation von Botschafter Dominique Paravicini zum aktuellen Stand der Dinge in der Schweizer Europapolitik kann hier runtergeladen werden. Zusätzliche Informationen über die Schweizer Europapolitik finden Sie auf der Website der Direktion für europäische Angelegenheiten DEA.
Die Handlungsempfehlungen von Botschafter Paravicini sind:
- Der Bilaterale Weg soll erhalten und gestärkt werden.
- Der Bundesrat will eine einvernehmliche Lösung mit der EU.
Diskussionen
Monika Rühl:
Die EU ist mit Abstand der wichtigste Handelspartner für die Schweiz. Die Schweizer Unternehmen brauchen einen Zugang zum EU-Markt. Die Bilateralen Verträge haben einen grossen Nutzen für die Unternehmen. Es gibt keinen Grund, jetzt leichtfertig auf die Bilateralen Verträge zu verzichten.
Viele KMU sind sehr exportorientiert, innovativ und dynamisch. Wegen des starken Frankens müssen sie die Kosten optimieren. Wenn die Bilateralen Verträge wegfallen würden, würden die Kosten für die Unternehmen ansteigen.
Das Potential der Inländer sollte besser genutzt werden (mehr Ärztinnen und Ärzte ausbilden, Massnahmen bei der Aus- und Weiterbildung, Arbeitnehmer bis ins Pensionsalter im Arbeitsleben halten).
Thomas Aeschi:
Die SVP war von Anfang an gegen die Personenfreizügigkeit. Es geht bei der Einschränkung der Personenfreizügigkeit um einen Vertrag von insgesamt 120 Seiten. Thomas Aeschi ist überzeugt, dass, auch wenn die Schweiz die Masseneinwanderungsinitiative eigenständig umsetzen würde, die 28 betroffenen EU-Länder der Kündigung der Bilateralen Verträge nicht zustimmen würden. Der Volksentscheid muss umgesetzt werden, und der Bundesrat hat einen guten Vorschlag dazu gemacht. Die einvernehmliche Lösung mit der EU ist anzustreben. Wenn das nicht möglich wäre, muss die Schweiz eigenständig handeln.
Christoph Mäder:
Christoph Mäder versteht nicht, wieso durch die Masseneinwanderungsinitiative die bestehenden Bilateralen Verträge riskiert wurden und nach der Annahme nun gerettet werden sollen. Das Risiko hätte vorher abgeschätzt werden sollen. Unser Vorhaben wird von der EU skeptisch angeschaut. Wieso geben wir unsere Vorteile aus der Hand?
In der Chemie arbeiten seit jeher mehr Aus- als Inländer, das hat eine lange Tradition. Die Forscherwelt ist international. Der Heimmarkt für Fachkräfte ist sehr klein, das ist auch nichts Neues. Die gesamte Schweizer Wirtschaft ist abhängig von der EU. Es gibt keine bessere Lösung für den Export und den Marktzugang in die EU als die Bilateralen Verträge, das ist der Königsweg.
Reiner Eichenberger:
Die Bilateralen Verträge sind nicht so bedeutend wie angenommen. Es müsste ausgerechnet werden, wieviel die Verträge für die Schweiz kosten. Das wurde bisher nicht gemacht. Erst wenn die Kosten und der Nutzen miteinander verglichen werden können, kann eine Lösung ausgearbeitet werden. Bevölkerungswachstum bringt Kosten mit sich.
Der Vorschlag des Bundesrats, Kontingente einzuführen, ist nicht gut. Kontingente kommen bei der EU nicht gut an. Deshalb braucht es eine vernünftige Zuwanderungssteuer. Diese Steuer sollte pro Tag erhoben werden und wäre für alle Einwanderer gleich gross. Reiner Eichenberger empfiehlt als Richtwert 3000 Franken pro Jahr und pro Person. Somit würden die Einwanderer immer noch weniger Steuern zahlen als in ihren Herkunftsländern.
Handlungsempfehlungen und Gewichtung
Folgende Handlungsempfehlungen wurden durch die Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik sowie durch das Publikum formuliert und durch ein E-Voting gewichtet:
- Anstatt von Kontingenten soll die Einwanderung mit einer Steuer für Immigranten reguliert werden (Position von Prof. Dr. Reiner Eichenberger).
40,7% JA / 59,3% NEIN - Die Lösung sind eine einvernehmliche Schutzklausel und eine bessere Nutzung des Inländerpotentials (Position von Monika Rühl).
75,4% JA / 24,6% NEIN - Die Schweiz lässt sich von der EU nicht erpressen und setzt eigenständig die Masseneinwanderungsinitiative um (Position von Thomas Aeschi).
29,1% JA / 70,9% NEIN - Wird die EU die Bilateralen Verträge kündigen, wenn wir eigenständig die Masseneinwanderungsinitiative umsetzen, wie von der SVP verlangt?
67,6% JA / 32,4% NEIN
Fazit
Das Publikum entschied sich mit einer grossen Mehrheit für den Lösungsvorschlag von economiesuisse. Am wenigsten Zuspruch fand die Forderung der SVP. Zwei Drittel der Anwesenden fürchteten, dass die Bilateralen Verträge in Gefahr seien, wenn die Schweiz die Masseneinwanderungsinitiative umsetzen sollte, ohne mit der EU eine einvernehmliche Lösung zu finden.
Lesen Sie im Werkstatt-Bericht den SMS-Input des Publikums nach (siehe Download).
Downloads
Präsentation von Dominique Paravicini
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Kommentare
18. April 2016
Hannes Felchlin
Dass anscheinend vielen Zuhörern die Kommunikationsformen mehr als der Inhalt der Diskussion wichtig war finde ich bedenklich. Ich fand die Diskussion vor allem wegen den Voten von Herrn Eichenberger sehr lebhaft, attraktiv und inhaltlich interessant, obwohl ich die meisten seiner Argumente stark hinterfrage. Aber er hat die andern Podiumsteilnehmenden und das Publikum herausgefordert und am meisten zu einem spannenden Abend beigetragen. Da fand ich z.B. die nicht sehr neutrale Gesprächsführung
14. April 2016
Urs Sutter
Die Art und Weise wie Herr Professor Eichenberger seine Argumente vorträgt und die anderen Meinungen disqualifiziert ist eine Zumutung für die Zuhörer. Für die Zukunft sollte auf Personen, von welchen zu befürchten ist, dass sie nicht willens oder fähig sind, die bei uns üblichen Kommunikationsformen einzuhalten, verzichtet werden.
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